Wie viele andere Vertreter meiner Generation habe ich die schlechte Angewohnheit, mit dem iPad in der Hand und dem Handy in Griffweite fernzusehen. Neulich nachts stieß ich aber auf einen Film, der mich so sehr interessierte, dass ich alle anderen Geräte zur Seite legte. Der Film hieß „Die Dolmetscherin“ (2005), mit zwei amerikanischen A-Prominenten in den Hauptrollen: Sean Penn und Nicole Kidman. Da ich in der Sprachendienstleistungsbranche arbeite, interessierte es mich natürlich, einen Charakter aus unserer Branche (eine Dolmetscherin) im Mittelpunkt eines Hollywood-Films zu sehen.
Dieser Politthriller vereint Intrigen und Action: Eine UN-Dolmetscherin, gespielt von Nicole Kidman, hört zufällig ein Gespräch in ihrer Muttersprache Ku (eine fiktionale afrikanische Sprache) mit an, in dem die Ermordung des Präsidenten von Matobo (ein fiktionales afrikanisches Land) geplant wird. Sean Penn spielt den Agenten des US-Geheimdiensts, dessen Aufgabe es ist, die Dolmetscherin zu überprüfen. Ihr Hintergrund lässt vermuten, dass sie den Tod des Präsidenten begrüßen würde (obwohl Attentate allgemein nicht zu den Aufgaben von Dolmetschern zählen).
Ich dachte mir: „Warum sollte man einen Film über eine Dolmetscherin drehen?“ Ich kann verstehen, wenn ein Film über Geheimdienstagenten gedreht wird, aber über eine Linguistin? Was kommt als Nächstes? Ein Film mit dem Titel „Die Buchhalterin“, der sich um eine atemberaubende, blonde Buchhalterin und einen gutaussehenden, schroffen Steuerbeamten dreht? Nein, das würde nicht funktionieren. Warum nicht? Nun, zum einen, weil die Arbeit bei den Vereinten Nationen und das Dolmetschen bei wichtigen, internationalen politischen Reden und Verhandlungen sicherlich eine „glamouröse“ Arbeitskulisse bietet. Ich würde aber auch sagen, dass viele Menschen allgemein von der Fähigkeit, mehr als eine Sprache zu sprechen, fasziniert sind.
Wenn Sie bei YouTube „mehrsprachige Prominente“ in die Suche eingeben, finden Sie eine ganze Menge Videos zu amerikanischen Prominenten, die eine Fremdsprache sprechen. YouTube-Benutzer laden Aufzeichnungen von Interviews, in denen ein Prominenter eine Fremdsprache spricht, auf die Seite hoch: Videos, in denen Charlize Theron Afrikaans oder Mila Kunis Russisch spricht. Sogar der Parteivorsitzende der Liberal Democrat Party des Vereinigten Königreichs spricht Niederländisch und Spanisch – mit Fremdsprachen kann man also auch cool sein, ohne eine gutaussehende Frau sein zu müssen! Es ist interessant, dass diese Videos von Benutzern hochgeladen werden, einfach um Personen des öffentlichen Lebens dabei zuzusehen, wie sie eine andere Sprache als Englisch sprechen.
Aber warum sind sie davon fasziniert? Vielleicht gibt es zwei Gründe dafür. Zunächst stellt für aufstrebende Linguisten die Fähigkeit zum Dolmetschen oder Übersetzen den Gipfel der Sprachkenntnisse dar. Vor Kurzem sprach ich bei einem Besuch einer Universität mit Studenten, die Japanisch lernen. Viele davon strebten danach, Dolmetscher oder Übersetzer zu werden. Für sie bedeutet der Erfolg in diesen Berufen, dass sie das Ziel, ein großartiger Linguist in der gewählten Sprache zu sein, erreicht haben. Außerdem wird die in der Sprachendienstleistungsbranche weit verbreitete Arbeit auf freiberuflicher Basis oft als erstrebenswerter Lebensstil angesehen, wodurch Dolmetschen und Übersetzen in den Bereich „cool“ katapultiert werden.
Die Arbeit mit Fremdsprachen ist echt cool
Aber was macht Fremdsprachen für Personen, die keine aufstrebenden Berufslinguisten sind, so attraktiv? Ich denke, dass der zweite Grund die Fähigkeit ist, durch Fremdsprachen sozusagen seine Persönlichkeit zu ändern. Wie durch Schauspielern oder einfach nur durch den Kauf neuer Kleider wird man durch das Sprechen einer anderen Sprache verändert. Man erhält ein neues Image; man wird von anderen anders wahrgenommen. Zunächst ist man vielleicht ein Deutscher aus Mannheim, aber im Handumdrehen wird man zu einem Spanier aus Andalusien. Es ist eine tolle Gelegenheit zur Veränderung und andere, die diese Fähigkeit nicht besitzen, sehen der Transformation neugierig zu und denken sich, dass es cool wäre, das auch zu können. Sprachen sind auch ein soziales Experiment. Es macht Spaß, im Urlaub ein paar Sprachfetzen aufzuschnappen. Das Auspacken der verstaubten Französischkenntnisse für ein Gespräch mit einem Ortsansässigen in Paris unterstützt im Urlaub die Flucht vor dem Alltag. Nur einen Moment lang – unabhängig davon, wie kurz das Gespräch ist – gehört man zu einer neuen Umgebung und spricht mit anderen Personen. Diese unterhaltsame soziale Interaktion unterscheidet sich einfach ein wenig vom Alltag und viele genießen diese Erfahrung; egal, ob sie mit Sprachen arbeiten oder nicht.
Trotz der politischen Geschichte, die in „Die Dolmetscherin“ erzählt wird, funktioniert der Film, weil die Zuschauer das Dolmetschen – Sprachkenntnisse – interessant finden. Wahrscheinlich sieht die Arbeitswirklichkeit für viele professionelle Dolmetscher und Übersetzer weniger glamourös aus, und das Sprechen einer Fremdsprache ist einfach Teil des Alltags. Aber wenn wir als Vertreter der Sprachenbranche „Die Dolmetscherin“ ansehen, können wir amüsiert lächeln und sagen: „Weißt du was? Die Arbeit mit Fremdsprachen ist echt cool.“
Ich würde Nicole Kidman gerne im zweiten Teil sehen: „Die Übersetzerin“.




